Stellungnahme der EAG zum 10-Punkte-Plan der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialwahl
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Vorbemerkung
In den letzten Jahren gab es immer wieder Vorhaben, die Soziale Selbstverwaltung und deren Wahlen zu reformieren. Die EAG hat sich hierzu im Rahmen des BVEA und der ACA umfassend positioniert. Der 10-Punkte-Plan der Bundeswahlbeauftragten erneuert diese Debatten. Als EAG begrüßen wir diese Initiative ausdrücklich.
Der 10-Punkte-Plan beleuchtet wichtige Gesichtspunkte. Zugleich fehlen zentrale Aspekte. Auf zwei möchten wir, bevor wir auf die 10 Punkte eingehen, insbesondere hinweisen:
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Die Soziale Selbstverwaltung und ihr Selbstbestimmungsrecht tragen essenziell dazu bei, dass die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland akzeptiert werden. Jedoch wurden gerade die Rechte der Selbstverwaltung in den letzten Jahren fundamental von der Politik eingeschränkt. Diese Einschränkungen gefährden die Soziale Selbstverwaltung. Daher ist ein Ausbau der Selbstbestimmungsrechte dringend erforderlich.
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Zur Finanzierung des Wahlkampfs bedarf es finanzieller Zuwendungen an die kandidierenden Listen. Für uns als EAG ist klar, es braucht einen Wahlkampf, um die Wahlbeteiligung nachhaltig zu erhöhen. Bisher gibt es jedoch keine Unterstützung im Gegensatz zu vergleichbaren Wahlen der Gebietskörperschaften. Auch Parteien erhalten zur Finanzierung ihrer Wahlkämpfe entsprechende finanzielle Unterstützung.
Stellungnahme zu jedem der 10 Punkte
1. Einführung von Onlinewahlen ab den Sozialwahlen 2023
„Ab den Sozialwahlen 2023 müssen auch Onlinewahlen möglich sein. Onlinewahlen sollen bei wählenden Versicherungsträgern 2023 als Alternative zur Briefwahl angeboten werden. Hierzu müssen Gesetz- und Verordnungsgeber rechtzeitig die rechtlichen Weichen stellen. Das Bundesinnenministerium sollte die Federführung übernehmen. Dabei ist zu klären, welchen Anteil der Bundeshaushalt an der Bereitstellung der geeigneten Soft- und Hardware übernehmen wird.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Die EAG befürwortet diese Alternative ausdrücklich. Während die Sozialversicherungen die Kosten der Durchführung der Sozialwahlen zu finanzieren haben, hat der Bund die Software und deren Entwicklung zu finanzieren und die Durchführbarkeit der Onlinewahlen zu gewährleisten. Die Software selbst muss alle Ansprüche, die an eine Briefwahl gestellt werden, vollumfänglich erfüllen. Dem Datenschutz ist dabei ein besonderes Augenmerk zu widmen. Das zuständige Ministerium muss federführend sein.
Bevor es zu Onlinewahlen bei den Berufsgenossenschaften kommen kann, muss dort eine entsprechende Datenbank der Versicherten aufgebaut werden. Aktuell sind die Versicherten nicht direkt bei den Berufsgenossenschaften erfasst. Der Aufbau muss rechtzeitig vorangetrieben werden.
2. Einführung eines rechtlich definierten Verfahrens bei der Listenaufstellung und des Nachrückens
„Per Gesetz und Verordnungen müssen Mindestvorschriften für die Aufstellung von Vorschlagslisten definiert werden. Ein Mitglied des Listenträgers muss mit seiner Unterschrift an Eides statt versichern, dass die Regeln für die Listenaufstellung eingehalten worden sind. Scheiden ordentliche Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane aus, darf nur eine/ein Kandidat/in nachrücken, der/die sich auf der betreffenden Vorschlagsliste befindet.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Mindestvorschriften für ein Legitimationsverfahren per Gesetz und Ordnung fördert die Transparenz, die demokratische Willensbildung und stärkt die Beteiligungsmöglichkeiten. Allerdings haben die neuen Vorschriften auf dem § 48a SGB IV zu basieren. Ein entsprechendes Vorhaben hat die Unterstützung der EAG. Letztlich kommt es jedoch auf die Detailregelungen an, welche bisher unbekannt sind.
Bezüglich des Nachrückverfahrens lehnt die EAG eine gesetzliche Regelung ab, sofern sie darüber hinausgeht, dass die Listenträger dazu angehalten sind, soweit als möglich, Kandidierende vorzuschlagen, welche sich auf der entsprechenden Vorschlagsliste befinden.
3. Reduzierung der Anzahl der notwendigen Unterstützerunterschriften
„Die Mindestanzahl der vorzulegenden Unterstützerunterschriften, die Voraussetzung für das Einreichen einer Vorschlagsliste ist, müssen um 50 Prozent abgesenkt werden.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Die EAG lehnt grundsätzlich die Reduzierung der vorzulegenden Unterstützerunterschriften ab. Nur auf diesem Wege kann gewährleistet werden, dass nur Organisationen kandidieren, welche ausreichend in der Gesellschaft verankert sind. Damit dient die Unterschriftenliste als ein Kriterium für die Prüfung der Voraussetzungen für Organisationen nach § 48a SGB IV. Mit niedrigeren Grenzen erhöht sich deutlich die Gefahr, dass reine Wahlvereinigungen bei den Wahlen antreten.
4. Unterstützerunterschriften können auch von Mitgliedern anderer Rentenversicherungsträger kommen
„Die Unterstützerunterschriften, die bei Rentenversicherungsträgern zum Einreichen einer Vorschlagsliste berechtigen, müssen nicht mehr ausschließlich vom betreffenden Versicherungsträger kommen. Es genügt, wenn die Personen, die eine Unterstützerunterschrift leisten, bei einem der 16 Rentenversicherungsträger ein Versichertenkonto haben. Die betreffende Regelung muss auch auf die Arbeitgeberseite übertragen werden.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Aus grundsätzlichen Überlegungen lehnt die EAG diesen Vorschlag ab. Jeder regionale Rentenversicherungsträger ist eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit einer eigenständigen Selbstverwaltung. Unterstützerunterschriften sollen die Verankerung bei den jeweiligen Versicherten, die es zu repräsentieren gilt, belegen. Sie sind ein rechtliches Messinstrument nach § 48a SGB IV.
5. Versicherungsträger in der Listenbezeichnung
„Alle Vorschlagslisten – mit der Ausnahme der freien Listen – erhalten die Möglichkeit, in ihrer Listenbezeichnung den Versicherungsträger aufzunehmen. Beispiel: IG Metall in der Deutschen Rentenversicherung Bund.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Dieser Vorschlag versucht ein Problem zu adressieren, welches in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt hat. Die Auseinandersetzung bestand und besteht darin, ob die Listenbezeichnungen zu Verzerrungen der Wahlergebnisse führen, da sie die Wählenden bezüglich Art, Umfang und Zwecksetzung der antretenden Vereinigung irritiert. Der Vorschlag löst nach Ansicht der EAG dieses Problem nur augenscheinlich oder oberflächlich. Er behebt das bestehende Problem nicht wirklich, könnte es sogar verstärken. An der wirklichen Lösung des Problems der möglichen Irritation der Wählenden ist der EAG jedoch sehr gelegen.
6. Verbot der Listenzusammenlegung nach dem Einreichen
„Vorschlagslisten dürfen nach dem Einreichen beim Wahlausschuss nicht mehr zusammengelegt werden.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Die EAG hält diesen Vorschlag für hochproblematisch. Er gefährdet eine ausgewogene, regionale Repräsentation der Versicherten mittels einer konsensorientierten Willensbildung der beteiligten Organisationen. Nur wenn der Prozess der konsensorientierten Willensbildung nicht beschnitten wird, welcher den Versicherungen auch Kosten erspart, kann die EAG diesem Anliegen zustimmen. Dies wäre möglich, wenn es zwei Stichtage gibt. Am ersten Stichtag melden die Organisationen ihre Teilnahme an den Wahlen an und müssen ihre Berechtigung dazu nachweisen. Zu einem zweiten, später gelegten Stichtag, sind dann die Listen einzureichen. Listen dürfen nur die Organisationen einreichen, welche sich zum 1. Stichtag gemeldet hatten und als berechtigt gelten. Die zwei Stichtage müssen so weit auseinander liegen, dass ausreichend Zeit für Verhandlungen und konsensorientierte Lösungen bleibt.
7. Freistellungsregelungen für ehrenamtliche Tätigkeit und Weiterbildung präzisieren
„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten einen gesetzlichen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit im Umfang von 5 Tagen im Jahr für Weiterbildung. Der Anspruch auf Freistellung für die Teilnahme an Sitzungen der Selbstverwaltungsorgane – einschließlich der Vorbesprechungen – sowie an den Sitzungen der Wahlausschüsse muss präzisiert werden.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Eine Freistellungsregelung zur Weiterbildung und die Präzisierung des Anspruchs auf Freistellung begrüßt die EAG ausdrücklich. Die Regelungen müssen allerdings auch ausreichend sanktionsbewährt sein, da sie ansonsten in der Realität wirkungslos bleiben.
Gerade gesellschaftliche und politische Änderungen erfordern eine kontinuierliche Aus- und Weiterbildung von ehrenamtlich tätigen Personen in der Sozialen Selbstverwaltung. Nur so können sie sich sach- und fachgerecht den neuen Herausforderungen stellen. Entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen können durch anerkannte Bildungsträger angeboten und beispielsweise durch die Bundeswahl- oder Landeswahlbeauftragten für die Sozialwahlen anerkannt werden.
8. Einheitliche steuerrechtliche Bewertung der Aufwandsentschädigung der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane sowie Nichtberücksichtigung der Aufwandsentschädigung als Hinzuverdienst bei Rentenbezug
„Die Aufwandsentschädigungen der Mitglieder der Selbstverwaltungen müssen steuerrechtlich einheitlich bewertet werden. Aufwandsentschädigungen der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane sollen bei Renten, nach Ablauf der Übergangsregelung, nicht als Hinzuverdienst berücksichtigt werden.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Die EAG unterstützt diesen Vorschlag, erachtet aber eine reine einheitliche steuerrechtliche Bewertung über Zuständigkeitsgrenzen von Finanzämtern und Ländern hinweg als unzureichend. Darüber hinaus bedarf es einer Gleichstellung mit anderen Ehrenämtern. Hierin käme eine gesellschaftliche Wertschätzung für die Ehrenämter in der Sozialen Selbstverwaltung zum Ausdruck.
9. Berücksichtigung von Frauen bei der Listenaufstellung
„Eingereichte Vorschlagslisten dürfen von den Wahlausschüssen nur dann zur Sozialwahl bei dem betreffenden Versicherungsträger zugelassen werden, wenn mindestens ein Drittel der Kandidatinnen und Kandidaten Frauen/Männer sind.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Wir begrüßen eine Regel, nach welcher zugleich mindestens ein Drittel der kandidierenden Frauen und mindestens ein Drittel der kandidierenden Männer sein müssen. Eine solche Regelung erhöht die Beteiligungsmöglichkeiten der Frauen und steigert die Repräsentativität gegenüber der Versichertengemeinschaft. Eine entsprechende Regelung ist zeitgemäß und sollte sowohl für Listen der Arbeitnehmervertreter als auch Arbeitgebervertreter gelten. Aus diesen Gründen begrüßt die EAG ausdrücklich diesen Vorschlag und unterstützt ihn.
10. Beauftragte für die Soziale Selbstverwaltung
„Die/der „Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen“ wird zur/zum „Bundesbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen und die Soziale Selbstverwaltung.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Die Stärkung des Amts der Bundeswahlbeauftragten mag positiv sein, solange sie sich anwaltschaftlich für die Interessen der Soziale Selbstverwaltung und die in ihre ehrenamtlich engagierten Personen eintritt. Allerdings sind in der Forderung Aufgabenspektrum, Kompetenzen und Rechtfertigungspflichten nicht definiert. Ohne eine detailliertere Klärung lehnt die EAG diese Forderung ab. Die Gefahren, welche mit einer Stärkung einhergehen, sind zu groß. Zu nennen sind etwa Eingriffs- und Zugriffsmöglichkeiten auf die Soziale Selbstverwaltung und damit ein weiterer Unabhängigkeitsverlust gegenüber der Politik.
Kritik an Verschleierung der Absicht
Unter Reformbedarf im Kapitel G des Schlussberichts der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017 steht folgender Satz:
„Auf die Forderung nach Abschaffung der ‚Wahl ohne Wahlhandlung‘ wurde im Programm der Bundeswahlbeauftragten verzichtet. Damit dürfte die größte Hürde für eine Reform aus dem Weg geräumt sein.“
Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen zu den Sozialwahlen 2017
Auch wenn im 10-Punkte-Programm wörtlich nicht die Abschaffung der „Wahl ohne Wahlhandlung“ gefordert wird, so wirken die Forderungen aus den Punkten 3, 4 und 6 faktisch genau in diese Richtung. Das sind 30 Prozent aller Punkte und sogar fast die Hälfte der 7 Punkte, die sich direkt auf die Ausgestaltung der Sozialwahlen beziehen. Als EAG sind wir über diese Aussage im Abschnitt zum Reformbedarf irritiert und verärgert. Diese Aussage will bewusst die eigentliche Wirkung des Reformprogramms verschleiern: Deutliche Ausweitung der Urwahlen und damit möglichst vollständige Verdrängung der sogenannten „Wahlen ohne Wahlhandlungen“, für die es aber nach wie vor gute Gründe gibt.